Birgit Huebner

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sehschlitzpanoramen

Lichte Bilder

Vor allen inhaltlichen und formalen Aspekten sind die in den letzten Jahren entstandenen Arbeiten von Birgit Huebner durch eine Eigenschaft miteinander verbunden, die sich annäherungsweise als besondere Leichtigkeit und Einfachheit der künstlerischen Geste charakterisieren läßt. Kreisförmige Plexiglasscheiben werden lose und scheinbar provisorisch an eine monochrom gestrichene Wand gelehnt; auf dünnes Pergaminpapier gedruckte Portraits hängen, vom Luftzug leicht bewegt, wie ein Riesenmobilé in einem Innenhof; mit einfachen, handelsüblichen Klebestreifen unterschiedlicher Breite und Färbung wird eine vorhandene Glasfassade vielschichtig rhythmisiert.

Die physische, materielle Leichtigkeit vieler Arbeiten korrespondiert mit ihrer visuellen Unbeschwertheit, sei es, daß einfache, alltägliche Fotomotive wie Portraits von Freunden und Reisefotos verarbeitet werden oder daß in den ungegenständlichen Arbeiten die immaterielle Wirkung klarer Farben und geometrisch repetierter Formen im Vordergrund stehen. Die unaufdringliche Präsenz und die klare, heitere Ausstrahlung vieler Installationen verdanken sich vor allem dem Interesse, den künstlerischen Eingriff mit den vorgefundenen architektonischen Gegebenheiten eines Raumes in ein symbiotisches, wie selbstverständlich erscheinendes Verhältnis zu bringen. Die vielfach einander überlagernden Klebestreifen auf der rautenförmig gegliederten Fensterfront des Kölner Domforums nahmen das Winklige der vorhandenen Struktur auf, entfalteten aber zugleich eine eigene Choreographie auf dieser transparenten Grenze zwischen beruhigtem Innenraum und belebtem städtischen Außenraum. Birgit Huebners zahlreiche, auf Fenster als lichtdurchlässige Raumgrenzen bezogene Arbeiten richten sich durchweg sowohl an die Innen- wie auch die Außenperspektive. So ergibt sich bei ein- und derselben Arbeit, je nach Perspektive und Lichtsituation, eine reiche Vielfalt von Erscheinungsformen. Beispielsweise verwandelte die formstrenge, minimalistische Arbeit auf der Glasfassade des Wewerka-Pavillons, aber auch der vier Jahre später entstandene erzählerisch-atmosphärische "Farblichtbus" im Düsseldorfer Ballhaus bei Einbruch der Dunkelheit die Architektur in eine Art überdimensionale Laterne und entfalteten damit eine gegenüber der Situation bei Tageslicht komplett andere, durch die Dramatik der Lichtkontraste geprägte Wirkung.

Birgit Huebner nutzt Fenster, aber auch andere transparente Materialien wie Plexiglas und Pergaminpapier als diaphane Bildträger. Licht als im wahrsten Sinne durchdringende Kraft tritt ebenso wie die emotionale Kraft monochromer Farbflächen in Wechselwirkung mit bildhaften Elementen. In einer umfangreichen Installation in der Kölner Moltkerei verknüpfte Birgit Huebner mehrere Stränge ihrer Arbeit zu einer komplexen Befragung von Bild, Raum und Wahrnehmung. Reisefotos (ein Strandpanorama und ein Blick in eine Bahnhofshalle) übertrug sie in handschriftlicher Punktrasterung auf Plexiglastafeln und montierte diese vor mehrfarbig bemalte Wandstreifen. Zwei kleine, auf Beinen stehende Tonnen gewährten durch einen schmalen Schlitz einen verengten Blick auf die Fotovorlagen. Die miniaturhaften Panoramarotunden ließen paradoxerweise keinen Gesamtüberblick, sondern nur ein allmähliches einäugiges Abtasten der Fotos zu. Erst in der Imagination konnte das Gesamtbild zusammengesetzt werden. Die Installation spielte auf unterschiedliche Weise mit dem analytischen, partikularisierenden wie auch mit dem synthetischen, zusammensetzenden Sehen, vom distanzierten Blick auf die gesamte Raumsituation, die farbliche überlagerung von Wandfarben und Punktrasterung bis hin zum Nahblick auf die manuelle Punktierung der Scheiben und die Körnigkeit der Foto-Prints.

In einer jüngeren Arbeit („mehrfachbelichtung“) erweitert sich dieses Konzept zu einer vielfachen überlagerung von Portraits. Die auf runde Plexiglasscheiben punktierten Gesichter lehnten in lockerem, unregelmäßigen Gefüge nebeneinander und voreinander an einem gelb gestrichenen Wandstreifen. In den übergangszonen löst sich die Individualität der Gesichter in beinahe abstrakte Strukturen auf. Die Verbindung von Portrait und Rauminstallation durchzieht die Arbeiten von Birgit Huebner bereits seit einigen Jahren, und es zeigt sich an diesem thematischen Strang die für ihre Arbeitsweise charakteristische spielerische Verknüpfung, Variation und Weiterentwicklung mehrerer Themen- und Interessensfelder über einen langen Zeitraum. Bereits die vor einigen Jahren entstandenen Portrait-Installationen transponieren das traditionsreiche Genre in die unkonventionelle Form frei im Raum hängender Konstellationen. Das Bildhafte, Zweidimensionale gewinnt in den kreisförmigen Anordnungen räumliche Präsenz. In einer späteren Arbeit in der Bonner Arthothek schrumpfen die Portraits zu winziger Größe und breiten sich, mit Stecknadeln wie Insekten aufgespießt, als langgestreckte Portraitfelder über Wände und Boden. In einer der jüngsten Arbeiten wiederum verknüpfen sich Portraits auf ganz direkte Weise mit dem Räumlich-Architektonischen. Die überdimensionalen, punktierten Portraits fügen sich zu einer transluzenten, sich vielfach überlagernden, architektonischen Portraitgalerie zusammen.

Gemeinsam ist den Portrait-Arbeiten von Birgit Huebner, daß das Individuelle unter den Bedingungen einer spezifischen räumlichen Konstellation zur Geltung gebracht wird. Zwei Bewegungen der Annäherung treffen sich: die Annäherung an das jeweils Individuelle des portraitierten Menschen und die Annäherung an die jeweilige Besonderheit der räumlich-architektonischen Situation. Während die ungegenständlichen Arbeiten ganz in der formalen und farblichen Interaktion mit dem Gegebenen aufgehen, verweisen die Portraitarbeiten und auch die auf eigenen Reisefotos basierenden Arbeiten immer auch auf eine Sphäre außerhalb des Gegebenen: auf die Lebenswelt und die Seherfahrungen der Künstlerin selbst. Transformiert ins Bildhafte und integriert ins Räumliche bleiben diese subjektiven Zusammenhänge erhalten, gewinnen aber auch eine davon unabhängige Qualität. Im Vordergrund steht weniger die genaue Identität der Personen und Gegenstände als die generelle Bezugnahme auf die gesehene und fotografierte Umwelt. Der Vorliebe fürs Transparente kommt in diesem Zusammenhang eine erweiterte Bedeutung zu. Der Blick trifft ebenso auf eine Bildoberfläche wie auch auf den Raum dahinter und das Licht als alles durchdringendes Medium. Birgit Huebners Arbeiten erscheinen als luftige, lichterfüllte Nahtstellen zwischen Bild und Raum, eigener Seherfahrung und der Wahrnehmung des Betrachters.

Thomas von Taschitzki

aus: „1994-1999 memory. birgit huebner“

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